Göttliche FügungDrei Wochen hatten Kospi und ich im Juli 1990 – kurz nach der Währungsunion – bei einem Lebensmittel-Großhandel in Berlin-Tempelhof geschuftet. Es war keine angenehme Zeit gewesen, denn die Westberliner Kollegen hatten uns sofort als ernstzunehmende Konkurrenz der Zukunft ausgemacht. Wir waren für sie ostdeutsche Lohndrücker und billige Arbeitstiere, die im Akkord alles viel zu schnell und korrekt erledigten. Egal, wir wollten uns lediglich unseren großen Traum ermöglichen: den ersten Westurlaub.

Mit ostdeutscher Sparsamkeit kauften wir ein One-Way-Ticket nach Sofia und fuhren per Bus weiter nach Griechenland. Es war ein unbeschreibliches und erhabenes Gefühl, als ich an der Grenze die vielen Drachmen nachzählte. Zum ersten Mal in meinem Leben hielt ich eine andere westeuropäische Währung in den Händen.

Die Reise sollte die bis dato schönste meines Lebens werden. Obwohl ich mich stets dagegen wehre, die DDR im Rückblick nur als trist und grau zu reflektieren – die griechische Farbenpracht überwältigte uns: Zwischen endlosen Olivenhainen breiteten sich riesige Blütenteppiche aus. In kleinen Gärten wuchsen Zitronen, Orangen und – für mich, den kleinen Ossi, besonders wichtig – Bananen auch! Die Häuser und Sandstrände waren so weiß und das Meer so blau wie die Flagge des Landes. Auf bunten Märkten, in Restaurants und an Kiosken trafen wir nur freundliche, braungebrannte Menschen, die lächelnd unsere Drachmen entgegennahmen und uns zu sagen schienen: Die DDR war grau!
Der Autor

Mit sonnenverbranntem Körper lief ich bei 35 Grad im dicken grünen Jogginganzug durch Athen und betrachte staunend die antiken Monumente der Akropolis. Obwohl der gewaltige Parthenon-Tempel fast vollständig eingerüstet war, meinte ich, noch nie zuvor ein so altes, glanzvolles und schönes Bauwerk gesehen zu haben. Mit Tränen in den Augen schaute ich auf die vor mir liegende Millionenmetropole. Genau in diesem Moment wurde mir – im Gegensatz zum tristen West-Berlin – zum ersten Mal bewusst, was Reisefreiheit wirklich bedeutete.

Bis heute steht diese Fahrt durchs Land der Hellenen auch für äußerst glückliche Fügungen – denn wir trafen unsere Götter: zwei Bayern. Die Jungs hatten uns beim Trampen aufgesammelt und uns nicht nur in die Geheimnisse „ihres“ Griechenlands eingeweiht. Mit viel Humor, Ouzo und Retsina wurden wir bei diversen Fünf-Liter-Fässern Warsteiner aus ihrem Kofferraum auf ein Leben in der Europäischen Gemeinschaft vorbereitet.
Der Mittelpunkt der Welt
Auf den Zeltplätzen der Peloponnes erfuhren wir so endlich auch, dass wir komische Schlafsäcke, komische Klamotten und vor allem komische Frisuren hatten. Wir erlebten – schon wieder mit feuchten Augen – dass es bedeutendere Kulturdenkmäler, andere Sonnenuntergänge, angenehmere Wassertemperaturen, höhere Wellen, wildere Schluchten, dichtere Wälder, eine größere Essensvielfalt, geheimnisvollere Frauen und ausgeglichenere Menschen auf dieser Erde gibt. Ich wollte Griechenland nie wieder verlassen…

Zum Weiterlesen: „Nie wieder Drachmen“ bei Spiegel Online