Spürst Du mich
„Bergi und ich machten die Musik. Im Klassenzimmer hatten wir die Tische an die Wände gerückt und die Stühle in U-Form aufgestellt. Unsere Anlage stand in der rechten Ecke auf dem Lehrertisch, mit einem Verstärker und zwei alten Boxen aus dem Musikzimmer, die an den Kassettenrekorder gestöpselt waren.

Nicht ein einziges Lied einer DDR-Band war dabei, und unser Lehrer Herr Blase ermahnte uns auch nicht, welche zu spielen. Er verschwand ins Lehrerkabinett und tauchte erst wieder um 21 Uhr auf, um das Licht anzumachen. In den Stunden dazwischen legten wir mindestens sechs Mal „Ich will Spaß“ von Markus ein. Alle Jungs sprangen dann sofort von den Stühlen und brüllten mit in die Höhe gereckter Faust – und wie von Sinnen – die Zeile: „Deutschland, Deutschland, spürst du mich? Heut‘ Nacht komm ich über dich.“ Es war der 12. November 1985, wir machten Klassen-Disco.

Am Tag danach war ein Fahnenappell anberaumt. Alle Klassen stellten sich zunächst vor der Schule in Zweierreihen auf und marschierten dann im Gleichschritt zu Arbeiterliedern. Für uns war das eine willkommene Abwechslung im tristen Schulalltag. Am Anfang ertönte krächzend ein Kampflied aus den alten Lautsprecherboxen, die wir noch am Vorabend benutzt hatten. Die Schüler der höheren Klassen gaben sich Mühe, besonders falsch zu singen und, wenn möglich, den Text zu verunstalten. Zum Beispiel hieß es: „Ich trage eine Fahne und diese Fahne ist rot. Es ist die Arbeiterfahne, die Vater trug durch die Not.“ Das Wort „Arbeiterfahne“ wurde von uns durch „Arschkriecher-Fahne“ ersetzt. Was durch den „Kot“ getragen wurde, klang so viel fröhlicher…“
.
Hier gehts zum Weiterlesen.