Wir Tikal„Wisst ihr eigentlich, wo das Abflussrohr endet?“, brüllt uns Jenna vom Steg aus zu. „Dort, wo ihr gerade schwimmt!“ Wir zeigen ihm ein Fuckoff und gleiten weiter über den malerischen See. Der Lago de Peten-Itza ist kilometerlang, das wird sich schon einigermaßen verteilen. „Ich war aber gerade auf dem Klo!“, fügt unser Freund lachend hinzu. Göte und ich paddeln merklich schneller in Richtung der Seerosen.
Flores liegt auf einer kleinen Insel und ist nur durch einen Damm mit dem Festland verbunden. Obwohl sämtliche Spuren der ehemaligen Maya-Bewohner vernichtet wurden, ist es wunderschön. An den schmalen, gepflasterten Straßen haben sich kleine Hotels und Restaurants angesiedelt und der Hauptplatz mit der Kirche liegt auf einem Hügel im Zentrum.

Miguel hatte uns vor einem Haus auf der Westseite abgesetzt und während die Jungs mit ihm noch ein „Gallo“ trinken, übernehme ich die Verhandlungen. Eigentlich haben wir es längst nicht mehr nötig, um Zimmerpreise zu feilschen. Doch gerade ich hatte dies, durch viele Reisen mit finanziellen Engpässen, so sehr verinnerlicht, dass ich auch hier nicht anders kann. Jenna muss die Flüche der Frau gehört haben und erkundigt sich bei mir, welchen Preis ich für den Raum mit Seeblick ausgemacht habe. „Na, die wollte erst 50 Dollar, also 40 Quetzal“, sage ich empört. „Und jetzt seid ihr bei?“, fragt er gespannt. „Na bei der Hälfte, 20 von den komischen Dingern.“ Jenna grinst: „Du weißt aber schon, das 20 Quetzal nur 2,50 Dollar sind?“
‚Ach du Scheiße’, denke ich. Ich hatte mich durch die vielen Wechselkurse total vertan und schäme mich regelrecht. Eine weltweit bekannte Backpackergruppe steht normalerweise für das Handeln bis aufs Blut und nun komme ich mir selbst wie einer von ihnen vor. Ich entschuldige mich kleinlaut bei der alten Dame und sage ihr, dass wir selbstverständlich die 40 für das Dreibettzimmer zahlen würden. Nun schaut sie mich allerdings an, als ob ich dämlich wäre.
2004 Guate Flores
Wir spülen uns mögliche Fäkalien vom Körper, auch wenn die Dusche vom Wasser des Sees gespeist wird und gehen gemeinsam zum Abendessen in ein uriges Restaurant. Obwohl wir nicht alles, was auf der Karte steht, korrekt übersetzen können, ahnen wir, dass die Speisen ein Querschnitt der heimischen Tierwelt sind. Aus der Küche meinen wir das Knacken eines Panzers zu hören, denn Jenna hatte sich sofort für das „Armadillo“ (Gürteltier) entschieden. Göte und ich wollen uns ein „Tepezcuintle“ (ein kaninchengroßes Nagetier) und „Venado“ (Wild) teilen. Die „Pizotes“ (Nasenbären) müsse man leider vorbestellen. Nein, wir verspeisen nicht die letzten ihrer Art. Die Viecher sollen hier noch in großer Zahl im Dschungel herumlaufen. Mittlerweile verstehen wir uns wieder ganz gut und haben uns damit arrangiert, dass wir diesmal nur zu dritt unterwegs sind. Wie in alten Zeiten, liefern sich meine Freunde einen köstlichen Dialog bezüglich der Chilisoße.
Göte: „Aber Jenna, ich kann nicht verstehen, warum du immer solche Schärfe rein bringst?“; Jenna: „Die Schärfe bringt ihr beiden doch rein. Muss ich mir denn alles gefallen lassen“; Göte: „Ich hab doch da jetzt keine Schärfe rein gebracht!“;
Jenna: „Ja, du nicht! Du sitzt hier bequem auf deinem Stuhl, hast drei Gallo getrunken und bist schön locker.“
Zum x-ten Mal stoßen wir auf Rudi Völlers Wutrede an und bis weit nach Mitternacht sitzen wir am Ufer des Sees und quatschen über alte Zeiten. Als Göte bereits schlafen gegangen ist, hören wir ganz in der Nähe Musik. Wir kennen die Band und werden magisch hinaus in die Nacht gezogen. Auch in Guatemala spielen sie also „Maná“. Wir stellen zwar fest, dass die immer schnulziger klingen, dennoch ist die Disko ein guter Ort, um noch diverse rumhaltige Mixgetränke zu testen. Jenna genehmigt sich zudem drei Schnäpse pur. Wegen des nur halbgaren Gürteltiers hatte er beschlossen, sich sicherheitshalber „zu versiegeln“.
Wir Kneipe
Es war ihm nicht gelungen. Ganz im Gegenteil. Kurz vor 6 Uhr meckert Göte ihn an: „In fünf Minuten fahren wir ab!“ Der arme Kerl sitzt auf dem Klo und hält den Kopf über das Waschbecken. Seit zehn Minuten entleert er sich nun schon aus zwei Körperöffnungen gleichzeitig. Mit verquollenem Gesicht besteigt er den Minibus. Es geht zu den Maya-Pyramiden von Tikal, dem Highlight unserer diesjährigen Reise. „Ihr hättet mich ja ruhig mal früher wecken können. Ich konnte mir nicht mal die Lunge bräunen“, schnauzt er mürrisch. Er müffelt ein bisschen, doch auch ich schwitze gerade literweise Alkohol aus. Gestern Nacht hatte ich zudem den „Scheppert“ gemacht. Das war schon zum geflügelten Wort geworden, wenn man einfach aufsteht, geht und zu wenig bezahlt. Jenna bekommt noch Geld von mir.
Nur Göte scheint es gut zu gehen. Er unterhält sich hinter uns angeregt mit zwei britischen Paaren. Mein Freund kann sich fast akzentfrei verständigen. Dafür spreche ich besser Spanisch als der Amerikaner, der vorne hockt und den Fahrer ununterbrochen mit seinem Wissen über „Teicel“ nervt. Der schweigt jedoch eisern und lädt kurz hinter der Stadt noch einen Kumpel ein, der sich zwischen Jenna und mich quetscht. Von hinten bekomme ich nur Gesprächsfetzen mit.
Tikal
Anscheinend fragen die Engländer, ob eigentlich alle Deutschen so pünktlich und penibel wären, wie die, die sie bisher getroffen hätten. Ich ahne, was sie meinen. Auch wir hatten in Südamerika schon viele Landsleute erlebt, die mit den teuersten Klamotten aus dem „Globetrotterkatalog“ zu sehr früher Stunde und vor allem völlig humorlos in eine besonders undurchdringliche Pampa gestiefelt waren. Das scheint unser Markenzeichen zu sein. Göte erklärt in seiner charmanten Art, dass wir anders wären und auch nicht den Bus um 4 Uhr genommen hätten, um als Erster in Tikal zu sein. Wir müssten nicht jeden Brüllaffen per Handschlag begrüßen.

Das faltige Männlein neben uns redet nun mit dem Fahrer und isst dabei mit den Händen etwas aus einer grauen Plastiktüte, die auf seinem Schoß liegt. Jenna blickt angewidert zu mir herüber und beginnt, hustend zu würgen. Das Zeug sieht aus wie ein Mix der Fleischreste unseres gestrigen Abendmahls. Ich schaue etwas genauer hin und auch mir wird kotzübel. In der Tüte mit der unappetitlichen Masse krabbeln unzählige schwarze Käfer herum. „Stop! Pare!“. Der Fahrer reagiert nicht, doch Jenna klopft ihm fest auf die Schulter und wiederholt sein Anliegen lautstark.
Icke Tikal
Nach zehn Minuten kommt er leichenblass aus dem finsteren Waldstück zurück. In seiner Hand hält er eine kleine weiße Rolle. Hinter mir erklärt Göte den verdutzten Briten trocken, dass unser Freund ihre Vorurteile bestätigen würde. Ein ordentlicher Deutscher habe eben immer Klopapier dabei, falls er im Dschungel mal gleichzeitig kotzen und scheißen müsste. Alle lachen. Nur der Ami will zügig weiter nach „Teicel“.
Während wir am Besucherzentrum darauf warten, dass Jenna vom Klo kommt, quatschen wir mit den Engländern, die ihre Frauen im Souvenirladen abgegeben haben. Sie erkundigen sich nach der WM 2006 in Deutschland. Wie weit wir mit den Stadien wären, wie es mit der Sicherheit aussehe und vor allem, ob die Kneipen vorbereitet wären. „Ja, der Biervorrat könnte mit euch das größte Problem werden“, antwortet Göte, „denn der Deutsche an sich, trinkt ja nicht so viel.“ Sie schauen in mein aufgeschwemmtes Gesicht und schmunzeln. Zehn Minuten nach ihnen betreten wir eine der bedeutendsten Stätten der klassischen Mayaperiode.

Tikal macht einen sprachlos. Es ist das Ambiente. Die Anlage, die inmitten eines riesigen Nationalparks liegt, scheint die verlorene Stadt zu sein, nach der die Spanier so lange gesucht hatten. Ein undurchdringlicher Dschungel hatte sie lange vor fremden Augen geschützt und geheimnisvolle Tiere sorgen für eine Geräuschkulisse, wie ich sie an keinem anderen Ort jemals gehört habe. Wir sehen Brüllaffen, die den Schrei von Raubkatzen nachahmen und Kletteraffen, die sich kreischend von Baum zu Baum schwingen. Bunt gefiederte Vögel stimmen in das Konzert ein und Baumfrösche sorgen mit ihrem Quaken für den Bass. Nasenbären, einige Tepezcuintle und sogar ein fettes Gürteltier kreuzen unseren Weg. Jenna ruft: „Merke! Gürteltier immer gut durchbraten!“ „Well done“, ergänzt Göte meckernd.
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Plötzlich ragen die steinernen Pyramiden, wie Wolkenkratzer aus dem Urwald empor. Erstmals möchte ich meinen: sie sind unbeschreiblich. Nachdem wir drei von ihnen erklommen haben, ist das allgemeine Unwohlsein und das Bereuen der gestrigen Fiesta fast völlig verschwunden. Wir haben lediglich Durst und rechtzeitig kommt uns ein kleiner Kerl mit einer Kühltasche um die Schulter entgegen gelaufen. Ich könnte jetzt alles trinken, außer Alkohol. Zwei Minuten später sitzen wir jeder mit zwei Flaschen „Gallo“ auf der Treppe an der Nord-Akropolis. Er hatte nur Bier. Ich stehe auf, betrachte meine Freunde und sage: „Ihr sitzt hier bequem auf euren Steinen, habt zwei Gallo getrunken und seid schön locker.“ Göte grinst, erhebt die Flasche und brüllt über mich hinweg: „Germans don’t drink that much“. Die Engländer laufen gerade vorbei. Es ist 9 Uhr Ortszeit.
Stundenlang laufen wir durch einen Irrgarten von Tempeln, Pavillons und kleinen Höfen. Am Komplex „der verlorenen Welt“ sehe ich eine Gruppe Maya-Männer – wahrscheinlich Arbeiter – sitzen. Wie gerne würde ich hinüber gehen und fragen, ob sich ein Wahrsager unter ihnen befindet. Meine letzte Hellseher-Info war die, dass Deutschland erst 2014 wieder Weltmeister wird. Aber vielleicht stimmt das sogar. Jeannet hatte gerade ihr drittes Kind (zum Glück von einem coolen Schweizer) bekommen. Auch das hatten wir damals hinterfragt. Zum Sonnenuntergang springen wir noch einmal in den glitzernden See. Was für ein fantastischer Tag.
2004 Guate Flores See
Auf dem Weg in die Heimat relaxen wir in Belize am Strand von Placencia, schnorcheln mit handzahmen Haien und Rochen am Riff vor Caye Caulker und landen einige Zeit später wieder in Carrillo Puerto in Mexiko. Manni scheint seit Tagen auf uns gewartet zu haben. Aufgeregt begrüßt er uns in der Dorfkneipe und organisiert sogleich ein Auto für die nächtliche Fahrt nach Tulum. Im Jeep eines Amis, namens Sammy, fehlen zwar sämtliche Kotflügel, die Motorhaube, ein Sitz und beide Türen, doch mit Zwischenstopp an einem Kühlhaus, in dem ausschließlich „Cerveza Sol“ gelagert wird, erreichen wir sicher die Cabanas am Traumstrand. Sammy fragt, ob uns eine Unze (28,35 Gramm) Marihuana für den ersten Abend erstmal reichen würde. Nach wenigen Tagen in Belize und Guatemala sehen wir also schon aus, wie verlotterte Kiffer-Idioten. „Mit euch mache ich mir eher Sorgen, dass hier gleich eine mittelschwere Bierkrise eintritt“, ruft Manni und schaut besorgt auf die vielen leeren „Sol“-Flaschen im Sand. Vier durstige Jungs sitzen am Lagerfeuer und erzählen sich lustige Geschichten. Ich werde an das ursprüngliche Mexiko erinnert, dass ich vor vielen Jahren lieben gelernt hatte. Gerne würde ich noch ein wenig verweilen.
Strand Tulum
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Zum Weiterlesen: „90 Minuten Südamerika“ von Mark Scheppert
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