LindenbergBei der Lesung zum Thema „Stars und Sternchen“ habe ich einen Text über ein ganz spezielles Interview vorgetragen.
Erst heute habe ich erfahren, dass Udo Lindenberg am Samstag bei „Wetten dass…?“ ausgerechnet in Halle an der Saale auftritt. Zufälle gibt es manchmal…
Hier also der Text…
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Ich muss zugeben: man hatte lange nichts mehr von ihm gehört. Ich will nicht so weit gehen, ihn als Helden meiner Jugend zu bezeichnen, aber – daran komme ich nicht vorbei – er war in jener Zeit ein ganz großer Star. Auf beiden Seiten der Mauer.
Vor kurzem hatte das Musical „Hinterm Horizont“ in Berlin Premiere. Und plötzlich hörte, sah und las man wieder vermehrt vom alten „Panikpräsidenten“. Er gab Interviews, unzählige Artikel wurden geschrieben und im Fernsehen lief eine Dokumentation zu seinem damaligen Auftritt in der DDR.
Und allmählich kamen sie wieder – die Erinnerung an „meinen“ Udo Lindenberg, an eine Zeit, in der ich ausschließlich deutsche Texte verstand und diese dann auch lauthals mitsang. Es war eine Epoche, geprägt von der Angst vor einem nuklearen Inferno, mit einem geteiltem Staat und einer ummauerten Stadt – eine Epoche, die in meinen verschwommen Kindheitserinnerungen, dennoch eine wichtige und unglaublich schöne war.
Ich tauchte also in die Vergangenheit ein und fand ein interessantes Interview, welches Udo im September 1990 – also noch vor der Wiedervereinigung – bei einem Auftritt in Halle an der Saale gegeben hatte.

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Frager: Wie unterscheiden sich die Konzerte, die du in der DDR gibst’s, von denen in Westdeutschland?

Udo: Wir haben ein Riesenrepertoire von ca. 300 Songs und können damit prima Konzerte machen. Da wir das erste Mal in Halle sind, ist ja klar, dass wir auch historische Lieder bringen, zum Teil aktualisiert, mit anderen Texten. Es ist schön, an Stücken herumzubasteln und sie zu verändern, denn dann bleibt Leben drin – und so.

Udo Lindenberg war einmal der deutsche Star. Im Ferienlager sangen wir immer seine Lieder bevor wir einschliefen. „Herr Präsident, ich bin jetzt 10 Jahre alt und ich fürchte mich in diesem Atomraketenwald. Sag mir die Wahrheit, sag mir das jetzt, wofür wird mein Leben aufs Spiel gesetzt?“
Den Song „Wozu sind Kriege da“, kann ich noch heute auswendig und auch sämtliche Textzeilen von „Mädchen aus Ostberlin“ und dem „Sonderzug nach Pankow“ waren damals jedem meiner Freunde bekannt – nicht nur, weil es natürlich verboten war, „Ostberlin“, „Honni“ und „Oberindianer“ zu sagen. Udo sang Deutsch und redete wie wir. Er konnte „Arschloch“ und „Scheiße“ in seinen Texten verwenden und sprach immer aus, was auch viele von uns hinter der Mauer dachten.
Es war daher eines der sieben Weltwunder, dass er 1983 dennoch in die Hauptstadt der DDR in den Palast der Republik eingeladen wurde.

Frager: Die Mauer ist weg und alles hat sich ziemlich schnell entwickelt in Ost- und Westdeutschland. Ist das eigentlich das, was Du gewollt hast?

Udo: Ja, das sieht irgendwie nach einer schnellen Vereinnahmung aus. Die Industrie benutzte die konservative Regierung der Bundesrepublik als Lobby. Das ist eine verkleidete Großverbindungsapparatur. Wie ich das finde und so? Ich finde das riskant, ich habe Bedenken, dass da die Menschen in ziemliche Härtesituationen geraten. Zu kleine Renten und zu wenig Arbeitslosengeld und dennoch, übern Daumen gepeilt ist es gut, dass da etwas in Bewegung geraten ist. Und demnächst haben die Leute ja die Möglichkeit zu wählen. Sie können sich entscheiden zwischen einem Land, das als Solidargemeinschaft funktioniert, in dem darauf geachtet wird, die sozial Schwachen zu schützen oder einer Gesellschaft, in der das höchste Angebot gilt, zur Freude der Industrie und nicht zur Freude vieler Menschen. Und so.

Ich war 12 bei seinem großen Auftritt 1983. Natürlich hatten wir keine Karten bekommen, wir waren ja damals noch nicht einmal in der FDJ, denn es schienen nur Leute mit blauer Bluse, in den großen beleuchteten Saal zu dürfen. Dennoch liefen zwei kleine „Jungs aus Ostberlin“ frohen Mutes zum Palast der Republik die schon immer „träumten von einem Rockfestival auf dem Alexanderplatz mit den Rolling Stones und ner Band aus Moskau“, wie Udo das in einem Song beschrieb. Vielleicht würde es uns gelingen, einen Blick auf unser großes Idol zu erhaschen.

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Frager: Wen würdest Du wählen?

Udo: Ich sage mal klipp und klar, dass ich parteilich nicht so festgelegt bin, aber ich finde bei dem einige gut und dann wieder bei den anderen. Und so.

Es war uns nicht gelungen, Udo Lindenberg vor „Erichs Lampenladen“ zu sehen. Tausende schienen auf die Idee gekommen zu sein. Doch die waren fast alle viel älter und vor allem viel größer als wir und drängelten sich nach vorn. Vor dem Haupteingang herrschte regelrechtes Chaos und als die Staatsmacht schließlich eingriff, hatten wir uns längst auf den Weg zum „Grilletta-Stand“ gegenüber vom Fernsehturm verdrückt und sangen später in der U-Bahn vergnügt: „entschuldigen sie ist dass der Sonderzug nach Pankow. Ich muss da eben mal hin, mal eben nach Ostberlin. Ich muss da was klärn mit Euerm Oberindianer.“

Frager: Was hältst du von der PDS?

Udo: Viele sind ja über Nacht blütenweiße Demokraten geworden, bisschen so, wie das schon paar Mal in Deutschland war, auch über Nacht und so. Und jetzt erleben wir ähnliches, oder?

Die eigentlich geplante Tournee von Udo und seinem Panikorchester wurde nach dem Auftritt im „Palazzo Prozzo“ wieder abgesagt. Er hatte sich nicht so verhalten, wie sich das unsere Staatführung vorgestellt hatte. Doch er hatte für erste Risse in der Mauer gesorgt und spielte, nachdem sie endlich fiel, dann doch noch ein paar Konzerte im meinem Land, bis dieses von der Landkarte verschwand.

Frager: Du wurdest irgendwann mal als Berufsjugendlicher bezeichnet. Wie lange willst du dieser Image noch pflegen?

Udo: Jugend messe ich nicht an einer Zahl der Jahre, sondern an einer Verfassung, in der man sich befindet. Eine Verfassung, die sich auszeichnet durch Neugierigkeit und Beweglichkeit. Und so.

Kurz nach dem Mauerfall hatte ich eine Freundin aus Halle an der Saale und als ich hörte, dass Udo in der Galgenbergsschlucht spielte, wollte ich unbedingt hin, um den großen gesamtdeutschen Star, endlich einmal live zu erleben. Über Vitamin B konnte ich sogar Pressekarten besorgen und machte mich voller Vorfreude auf den Weg.

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Frager: Worauf bist du noch neugierig?

Udo:…Kulturen, Länder und Religionen kennen zulernen, reisen und studieren. Das alles ist ne große Wundertüte. Und ein Land, das einst so fern schien, ist ja die DDR und da gibt es noch viel zu gucken. Und hier werde ich auch als Privatmensch – gut getarnt – öfter mal auftauchen. Und so

Die Karten ermöglichten es mir, ohne großartig Anzustehen durch einen Extraeingang für Presseleute auf das riesige Konzertgelände zu gelangen. Da auf der Bühne noch eine sinnlose Ostband als Vorgruppe spielte, nutzte ich die Zeit und schaute mich etwas genauer um. Was man heutzutage als VIP-Bereich bezeichnen würde, war in jener Zeit ein kleiner, abgesperrter Acker auf denen drei Wohnwagen standen. Einer davon war wesentlich größer und nobler als die anderen. Das musste der von Udo sein. Im Vorfeld hatte ich mir ein kleines Aufnahmegerät besorgt, weil ich Teile des Konzertes heimlich mitschneiden wollte – doch plötzlich hatte ich eine viel bessere Idee.

Frager: Du spielst hier mit verschiedenen DDR-Bands. Welche Chance gibt’s du diesen in nächster Zeit?

Udo: Zurzeit ist die Meinung ja so: Im Westen ist alles geil und im Osten alles Schrott. Die DDR-Bands würden gut daran tun, ihre Einzigartigkeit zu kultivieren und ihre Originalität zu bewahren. Wer in Westdeutschland irgendetwas nachspielt, hat auch keine Chance. Und so.

Zögerlich näherte ich mich dem Nobelwohnwagen, vor dem ein muskelbepackter Typ hockte, und überlegte, was ich sagen könnte. Mit meiner dauergewellten Vokuhila-Frisur, den billigen Jeans und den Turnschuhen zu 29 Mark sah ich tatsächlich ein bisschen aus, wie man sich einen ostdeutscher Reporter in jener Zeit vorstellte. Ich steckte mir eine Cabinett an, nahm das Aufnahmegerät wichtigtuerisch in die Hand, und rief dem Bodyguard zu: „Ich bin von der Presse und will zu Herrn Lindenberg.“

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Frager: Du bist bei verschiedenen Umweltaktionen mit dabei. Zurzeit rollt auf die DDR-Bürger eine unheimlich große Mülllawine der westlichen Verpackungsindustrie zu. Einheit und Umwelt – deine Meinung?

Udo: Ja, in die Elbe wird so viel Müll herein geschmissen, dass kommt dann in Hamburg an und das von uns Produzierte bei euch. Es ist natürlich eine große gemeinsame Aufgabe, die Umwelt sauber zu kriegen. Und so.

Zu meiner großen Überraschung stand der Muskelprotz auf, öffnete die Wagentür und brüllte mir hinterher: „10 Minuten!“. Selbstbewusst lief ich die kleine Treppe empor und betrat das abgedunkelte Wageninnere. Und tatsächlich: da war er. Udo Lindenberg mit Hut und Sonnenbrille, der Mann, der mit „Honni“ leckeren Cognac trinken wollte, saß leibhaftig vor mir schenkte sich gerade etwas Hochprozentiges ein. Meine Knie begannen zu zittern.
Unsicher grinsend lief ich ihm entgegen. Er deutete auf die kleine Couchecke und sagte: „Setz dich doch. Und so.“ Ich stellte das Aufnahmegerät auf den Tisch und sein Nicken schien die Erlaubnis dafür zu sein, dass ich es anschalten durfte. Ganz sachte drückte auf die rote Rekord-Taste.

Frager: Udo, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg heute!

Udo: Gern geschehen! Und so.

Bis zur heutigen Lesung habe ich selbst engen Freunden noch nicht von diesem Ereignis berichtet und somit auch nie groß damit angegeben, denn ich habe dieses Gespräch tatsächlich am 7. September 1990, also noch vor der Wiedervereinigung in Halle geführt. Zwei Tage später wurde es sogar in einer bekannten Zeitung abgedruckt. In diesem, meinem, Interview war er der große Star und ich fühlte mich damals tagelang, wie ein kleines Sternchen am Reporterhimmel. Und so.

Lindenberg-Interview