OLYMPUS DIGITAL CAMERASeine Sicht:
Es ist ein ungewohntes Gefühl, denn am Morgen bin ich seit ewiger Zeit mal wieder richtig sauer auf meine Mitreisende. Während ich mich noch wundere, was im Zimmer so stinkt, stammelt sie verschlafen, dass es ihr sauschlecht gehe und ich etwas vom Frühstück mitbringen soll. Erst, als ich wiederkomme, entdecke ich den verkrusteten Fleck Erbrochenem neben dem Bett. Das scheint ja allmählich zu einer Spezialität zu werden. Natürlich habe ich nicht das Richtige geholt und während sie sich unter die Dusche schleppt, lese ich am Rechner, dass ich auf der „Abschussliste“ unserer Firma stehe. Ulrike hat diese von einem befreundeten Betriebsrat besorgt. Ihr eigener Name ist allerdings auch auf dem Geheimpapier verzeichnet.
Als wir endlich gegen 11 Uhr auschecken, könnte ich so richtig kotzen. Dieser Volldepp Oliver steht vor der Tür. Ganz nebenbei erfahre ich, dass uns der kosmopolitische Globetrotter heute in den Kakadu-Nationalpark begleiten wird. Nein, wir fahren nicht direkt dorthin, sondern halten an einem McDonald’s, bevor wir hinter einem Nest namens „Humpty Doo“ abbiegen, um zu einem – laut Oliver – „absoluten Highlight“ des Top Ends zu gelangen.
Zugegebenermaßen habe ich mich bequatschen lassen, da sich die Sache mit den „Springenden Krokodilen“ interessant anhörte. Nach zwanzig Minuten Fahrt auf unasphaltierten Straßen erreichen wir den Adelaide River und laufen zum Anleger der „Jumping Crocodile Cruises“. Weil das Boot gerade weg ist, dürfen wir uns eine Stunde am schlammgrauen Fluss im schwülheißen Dunstklima die Zeit vertreiben. Nina muss mal und verschwindet hinter einem einfachen Verschlag inmitten der Pampa. Genau in diesem Moment kommt ein blauer Hippie-Camper angefahren. Es steigen zwei hübsche Frauen aus, die ihre braunen Brüste nur unvollständig in dünnen Blusen verstecken. Die drei kennen sich. Sie begrüßen den großen Zampano euphorisch per Küsschen und Umarmung, so als ob sie ihn seit zehn Jahren nicht gesehen hätten. Caro und Anke mustern mich nicht gänzlich uninteressiert, doch ich deute mit dem Daumen zum Klo, wo sich meine geliebte Freundin wahrscheinlich gerade übergibt.
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Ich habe keine Lust auf Konversation, setze mich abseits auf eine Bank und beobachte ein Paar in khakifarbenen Tropenklamotten. Die Frau führt einen braun-weiß gescheckten Hund an der Leine. Während sie auf mich zulaufen, reißt er sich los und rennt samt Halsband die Uferböschung hinab. An einem Ort, der für bis zu sieben Meter lange Leistenkrokodile bekannt ist, muss ich wohl kaum erwähnen, dass dies keine so schlaue Idee gewesen ist und bei der Besitzerin umgehend zu einer Panikattacke führt. Dennoch möchte ich bei der Wahrheit bleiben: Ich weiß nicht, ob der kleine Kläffer von einem dieser Monster zum Lunch verspeist wurde. Allerdings taucht er – bis die Tour beginnt – auch nicht wieder auf. Als wir ablegen, rufen ein Mann mit hochrotem Kopf und eine verheulte Frau am Ufer noch immer verzweifelt nach ihrem „Eric“.
Während der Bootsfahrt bekommen sich die anderen gar nicht mehr vor Lachen ein. Sie knipsen jedes monströse „Saltie“ (Salzwasserkrokodil), das mit gewaltigen Sprüngen nach den an einem Stab befestigten Fleischstücken schnappt, mit dummen Sätzen wie: „Na, hast du den kleinen Eric gefuttert?“, oder „Hast du jetzt gar keinen Hunger mehr nach dem Wauwau?“ Oliver mimt den Obermacker und muss mehrfach erwähnen, dass dies eine fantastische Geschichte für eines seiner „bedeutenden“ Magazine wäre. Der Kapitän versteht die Scherze nicht, freut sich aber, dass Caro, Anke, Oliver und Nina so gut gelaunt sind. Eigentlich mag ich ja Zynismus, doch die hiesige Konstellation ärgert mich – zumal sich das Journalisten-Schwein aufführt, als wäre er mit Nina zusammen. Ich komme mir extrem deplaciert vor. Am liebsten würde ich den Kerl über Bord schubsen und ihm – wenn er sich Hilfe suchend am Kahn festkrallt – mit einer Machete die Schreiberling-Hände abhacken. Oberarschloch!
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Die Krokodile mit den messerscharfen Bissleisten, die wir geschützt von Metallzäunen wie im Zirkus aus allernächster Nähe betrachten können, sind jedoch beeindruckend. Zunächst kräuselt sich das Wasser im Magrovenschlamm, bevor ihre panzerartigen Schuppen und der bleich aufblitzende Bauch an der Wasseroberfläche erscheinen. Respektvolle Bewunderung vermischt sich mit einem gewissen Gruselfaktor.
Als wir den Anleger erreichen, muss Nina erneut zum schachtelförmigen Wellblechklo. Oliver ruft mir zu, dass er mit „den Weibern“ ein paar Meter fahren will, weil es unweit eine Aussichtsplattform gibt. Wir sollen kurz warten. Da er seinen Rucksack dabei hat, treffe ich spontan eine Entscheidung. „Ich soll dir einen Gruß von Oli ausrichten. Er fährt jetzt mit Caro und Anke weiter. Gerade sind sie abgedüst“, erzähle ich Nina bei ihrer Rückkehr. Sie schaut mich skeptisch an und runzelt die schweißbeperlte Stirn, doch geschwächt von Übelkeit besteigt sie mit enttäuschtem Gesichtsausdruck den Toyota. lch gebe Gas und lege ihr besitzergreifend die Hand auf die bis an die Brust gezogenen Knie. Nina gehört nur mir allein!
Natürlich kapiere ich auf der Weiterfahrt, dass dies ziemlich gemein war, aber das erleichternde Gefühl, diesen Idioten, der auf alles eine Antwort hatte, endlich los zu sein, überwiegt. Und nun? Es ist schon nach 15 Uhr, als wir den nördlichen Parkeingang zum „Kakadu“ erreichen, und sie verlangen 16 AU$ Eintritt. Ich beschließe das bedeutendste Naturwunder des Northern Terrytorys einfach wegzulassen und kehre um. „Manchmal muss man sich eben auch Dinge für spätere Reisen aufheben“, erkläre ich meiner Freundin mit bedeutungsschwangerer Miene.
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Auf der Rückfahrt geschieht etwas extrem Peinliches: Der Camper von Caro und Anke kommt uns entgegen. Während Nina winkt und mich anschreit, dass ich anhalten soll, damit sie sich wenigstens verabschieden kann, zeigt mir Oliver, der auf der Vorderbank sitzt, den Mittelfinger. Mit Bleifuß und schamesrotem Kopf rase ich weiter in Richtung Darwin und stoppe nicht einmal am Humpty Doo Hotel, dessen Kneipe man – laut dem Alleswisser – unbedingt von innen gesehen haben sollte. „Jetzt habe ich nicht mal seine E-Mail-Adresse“, meckert Nina mit einem Mund, der so dünn wie eine Messerklinge ist, und boxt mich mit hasserfüllten Augen in die Seite. ‚Und das ist auch gut so’, denke ich und komme mir dennoch ein bisschen schäbig vor.
Am „Fogg Dam Conversation Reserve“ fahre ich ab. Letztendlich erhaschen wir an diesem Staudamm dann doch noch einen einzigartigen Blick auf die bedeutende Sumpf- und Schwemmlandschaft und beobachten etliche Stelzvögel aus der Ferne. Zwei Rosakakadus sitzen direkt neben uns in einem Baum. Wahrscheinlich ist das zwar nur die „Light-Version“ des Nationalparks, aber es zählt der olympische Gedanke.
Da wir morgen früh fliegen, suche ich nach einem Hotel in Flughafennähe. Insofern ist es mir egal, dass sie im Vier-Sterne-„Darwin Airport Resort“ 200 Aussie Dollar für die Nacht verlangen. Ich kann unseren Wagen noch heute bei „Thrifty“ abgeben und werde sogar mit einem Shuttlebus zurückgefahren. An der beeindruckenden Poollandschaft gönne ich mir – nach dem beschissenen Tag – zwei Caipis aus Halblitergläsern. Nina hingegen sitzt versteinert auf der Terrasse unserer Hütte. Sie trinkt Wasser, kaut an „Tim-Tam-Keksen“ und starrt auf das tropische Grün hinter dem Drahtzaun. Auf dem Hotelbett haben sie weinrote Handtücher zu einem Herz geformt, die sie achtlos auf den Boden schmeißt und dann schlafen geht. Ich mache die Glotze an und erfahre im Regional-TV, dass am Abend ein Camper frontal gegen einen Truck gedonnert ist. Alle drei Insassen seien verbrannt. Ich liege noch lange wach und wundere mich darüber, wie boshaft meine Gedanken manchmal sein können. Nina erzähle ich nichts davon. Ich bin heilfroh, sie ab morgen wieder ganz allein für mich zu haben. Hoffentlich gibt es in „Alice“ gute Nachrichten. Die Reise darf auf keinen Fall so düster weitergehen!

Ihre Sicht:
‚Mannomann, geht’s mir dreckig. Wie kann man sich denn bloß so abschießen?’, denke ich beschämt. Ich hab in der Nacht sogar neben das Bett gekotzt. Mein Freund ist rührend und bringt mir ein paar Snacks vom Frühstück, doch ich bekomme nichts runter. Lediglich den Tee, welchen er im Zimmer zubereitet, trinke ich in vorsichtigen Schlucken. Auch nach der kalten Dusche geht es mir nicht viel besser. Ich stopfe meine Klamotten in den Koffer, aus dem schmutzige Wäsche hervorquillt, setze mich drauf, damit er zugeht und folge ihm mit wackligen Beinen zum Ausgang. Ausgerechnet heute will er eine neue Unterkunft in Flughafennähe suchen, anstatt hier um eine Nacht zu verlängern. Allerdings müffelt unser Zimmer auch unangenehm, sodass eine vorzeitige Abreise vielleicht gar nicht so schlecht ist.
Vor der Tür steht ein ebenso zugerichteter Oliver, der mich mit charmantem Lächeln begrüßt. Langsam kehrt die Erinnerung zurück. Wir hatten gestern mit „Bunda“ Brüderschaft getrunken und danach vereinbart, dass er uns heute aus „Kostengründen“ auf dem Tagestrip begleitet. Micha scheint darüber nicht gerade hocherfreut zu sein.
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Die erste feste Nahrung des Tages wird ein halber Cheeseburger bei „Mc Doof“, den ich gerade so im Magen behalte. Ich ahne, dass ein katastrophaler Tag vor mir liegt. Im Gegensatz zu Micha, der ununterbrochen über seine bevorstehende Arbeitslosigkeit jammert, versucht mich Oliver aufzumuntern. Das hilft und ein bisschen aus Trotz bestehe ich darauf, dass wir zu diesen „Jumping Crocodiles“ fahren. An einem breiten Fluss, der weiter nördlich ins offene Meer mündet, soll man riesige Salzwasserkrokodile in freier Wildbahn beobachten können. Die Fahrt auf einem sanft dahin fließenden Gewässer kommt mir gelegen, da ich mich dabei nicht bewegen muss. Allerdings ist der Kutter gerade weg, sodass wir am Anleger auf die nächste Tour warten müssen. Nach kurzer Zeit kehrt die Übelkeit zurück. Eine richtige Toilette gibt es nicht, lediglich ein offenes Hüttchen aus Wellblechwänden mit einem Loch in der Mitte. Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, nur so viel: Von Würgekrämpfen geschüttelt, kommt es oben und unten gleichzeitig heraus. Doch als ich fertig bin und eine Durchfall-Tablette geschluckt habe, geht es mir besser.
Vor dem Bootshaus ist mittlerweile Einiges los und ich benötige ein paar Minuten, um die Zusammenhänge zu begreifen. Oliver hat zwei Backpackerinnen getroffen, die er von irgendwoher kannte. Die drei bepissen sich gerade vor Lachen, während ein nobel gekleidetes Paar durch die Gegend rennt und aufgeregt „Eric, where are you?“, brüllt. Micha sitzt abseits auf einer Bank und schüttelt fassungslos den Kopf.
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Was ist geschehen? Anscheinend haben die beiden besorgten Touristen ihren Jack Russel frei herumlaufen lassen, obwohl wir Schilder gesehen haben, die besagten: „Do not enter the water. Keep children and dogs away from the water’s edge“. Doch der neugierige Hund ist wohl zum Ufer geflitzt und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Ich teile zwar nicht den Humor von Caro, Anke und Oliver, kann aber mit der gespielten Besorgnis von Micha noch viel weniger anfangen. Als wir mit dem Fährboot, welches ringsherum mit großen Absperrgittern versehen ist, endlich starten, habe ich mich auf die Seite der Spaßtruppe geschlagen. Ihre sarkastischen Sprüche bezüglich des „armen Eric“ lenken mich wenigstens von meinen Magenschmerzen ab.
Natürlich wurde die kleine Fellnase soeben mit Haut und Haaren verspeist. Da gibt es gar keinen Zweifel. Am Uferrand liegen grau gepanzerte, tonnenschwere Riesenechsen im Wasser, mit Schnauzen so groß, dass auch ich dort locker hineinpassen würde. Bei der Fütterung der Krokodile – unser Bootsführer hängt Fleischstücke an eine Art Angel – können wir aus unmittelbarer Nähe beobachten, wie sie blitzschnell aus dem Wasser schießen und sich um die eigene Achse drehen, um die Brocken zu packen. Einen Arm sollte man definitiv nicht über den Zaun halten. Der könnte durchaus in einem lang gezogenen Kiefer mit spitzen Zähnen verschwinden. Respektvoll ziehe ich mich auf die Mitte des Kahns zurück und lache über die ironischen Sätze Olivers. Auf jedem zweiten Digitalfoto will er einen Hundefuß oder -kopf entdeckt haben. Er befindet, dass dies eine großartige Story sei, über die er in einem Reisejournal berichten kann.
Nach der spektakulären Tour, auf der wir von etlichen Greifvögeln begleitet wurden, gehe ich noch einmal auf das Behelfsklo. Als ich wiederkomme, sind die Mädchen und Oliver verschwunden. Micha richtet mir aus, dass sie losgefahren seien, da sich „der feine Herr Journalist“ entschieden habe, mit „den Weibern“ im Kakadu zu übernachten, um sie dort mal „ordentlich durchzubumsen“. Ich kann fast nicht glauben, dass sich Oli gar nicht von mir verabschieden wollte und bin regelrecht gekränkt. So kann man sich also irren. Anscheinend ist er ja doch ein penisgesteuerter Egoist.
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Meine Laune bessert sich nicht, als mein Mitreisender am Parkeingang entscheidet, zurück nach Darwin zu fahren. Eigentlich war er es doch, der unbedingt an einen Ort wollte, wo Kakadus im Vorbeifahren den Himmel verdunkeln, und nun kehren wir kurz vor dem Ziel um? Das ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Auch nicht, dass uns der Backpackercamper auf einmal entgegenkommt. „Halt an!“, brülle ich, doch Micha rast einfach weiter. Zum ersten Mal seit langer Zeit bin ich stinksauer, da ich ahne, dass er mich vorhin belogen hat. ‚Liebe macht blind – so ein blödes Arschloch’, denke ich. Ein unbehagliches Gefühl stellt sich ein, doch weil ich mich körperlich noch immer nicht fit fühle, verzichte ich auf eine Aussprache. Ich will nur noch ins Bett und schlafen.
Leider muss ich mir vorher noch einen Sumpf an einem ollen Tümpel anschauen, der mit dem eigentlichen Weltnaturerbe rein gar nichts zu tun hat, obwohl mir Herr Schmidt das zu vermitteln versucht. Ich könne ja von den Seelilien und Reihern ein paar Fotos machen und zu Hause erzählen, dass diese aus dem bekannten Nationalpark seien. ‚Litchfield-do, Kaka-don’t’, flüstert mir eine innere Stimme zu. Das Hotelzimmer sucht er in Eigenregie. Der Sparfuchs kutschiert uns in ein weitläufiges Ressort und bezahlt, ohne mit der Wimper zu zucken, knapp 200 Dollar für einen Bungalow. Er verschwindet sofort an den Pool und lässt mich frustriert zurück. Ich kann diesen Idioten heute eh nicht mehr sehen, fühle mich leer und verlassen.
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Nach zwei Stunden habe ich mich beruhigt und lausche dem Musizieren der Zikaden im Mangrovenwald. Eigentlich war es ja meine Schuld, dass der Tag so spät begonnen hat, und gleichzeitig ist es doch eigentlich niedlich, wie er reagiert, wenn ein halbwegs attraktiver Typ in meiner Nähe auftaucht. Zudem verstehe ich, dass ihm die Unklarheit in seiner Firma und die Grampians-Geschichte ein bisschen an die Nieren gehen. Noch immer fühlt er sich von Nolan verfolgt, da sein Bruderherz Jimmy „bestimmt“ gerade in einer Grube verrottet. Es wird Zeit, zurück nach Alice Springs zu kommen, damit wir mit „Good News“ die Tour entspannt in unserem geliebten Camper in Richtung Ostküste fortsetzten können!
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Zum Weiterlesen: Koalaland
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