Pool
Es hieß also von Itaunas, Abschied zu nehmen, von Mauro, Maria, Cassio und so vielen lieben Leuten mehr. Wir verließen gerührt einen Ort, der uns für immer im Leben in fantastischer Erinnerung bleiben wird – nicht nur in Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006.

Um 13.30 stiegen wir in den Bus und bereits um 16.30 Uhr erreichten wir ein Städtchen namens Sao Matheus. Doch dort gab es ein Problem: der Bus für die Weiterfahrt war bereits ausgebucht und der nächste würde erst weit nach Mitternacht fahren. Das bedeutete, dass wir über acht Stunden in einem Ort ausharren müssten, der den Charme von Merseburg Hauptbahnhof hatte, relativ gefährlich wirkte – und vor allem so hieß, wie der in Brasilien so verehrte „Loddar“ mit Nachnamen. Matthäus hätte womöglich gesagt „Sis‘ are different exercises. Not only bumm!“ Okay, das Internetcafé, welches wir nach langem Suchen fanden, war trotz der Kiddies, die sich leidenschaftlich irgendwelchen Ballerspielen hingaben, ein „Zeittotschlager“. In aller Ruhe las ich nach, was meine Freunde und die restliche Welt über die soeben beendete Fußball-WM berichteten. Deutschland feierte scheinbar noch immer den dritten Platz – und sich selbst.
Porto Seguro 2

Gegen 20 Uhr kehrten wir in ein räudiges Restaurant ein, um zwei weitere Stunden herumzubekommen, denn gegen 22 Uhr machten sie dicht – mit dem freundlich gemeinten Hinweis, dass es in dieser Gegend viel zu gefährlich wäre, um noch länger geöffnet zu haben. Nun hieß es, drei Stunden auf einem gruseligen Bushahnhof zu sitzen und zu hoffen, dass uns keine Gang anhaut und mit gezücktem Messer freundlich fragt, ob Sie unsere Rucksäcke samt Wertgegenstände mitnehmen dürfen? Wie sagte schon Lothar M.: „I hope, we have a little bit lucky.“ Wir kauften zwei Dosenbier bei einen Mann mit zerknautschtem Gesicht am unbeleuchteten Kiosk – lachten, quatschten und fast pünktlich um 1 Uhr trudelt auch der Bus ein. Wir waren mittlerweile völlig kaputt, sodass uns sogleich die Augen zufielen. „Ein Wort gab das andere – wir hatten uns nichts zu sagen“, flüsterte mir Lothar leise zu.
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Eine Alkoholpassage in Porto Seguro
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Wir befanden uns noch immer in italienischer Hand, denn in Porto Seguro holte uns Mauros Kumpel Rino ab, um uns in seine hübsche Appartementanlage zu fahren. Es war bei ihm zwar etwas teurer, dafür hatten wir ein separates Schlafzimmer, Wohnzimmer und vor allem eine voll ausgestattete eigene Küche. Die riesige Terrasse mit Hängematten gehörte bei italienischen Brasilianern scheinbar sowieso zur Grundausstattung.
Rios Buranhem

Nachdem wir etwas Schlaf nachgeholt hatten, schlenderten wir auf Kopfsteinpflastern durch die gemütliche, bunte Stadt, welche unter anderem dafür bekannt ist, dass dies der Ort war, wo Portugiesen erstmals auf ein Land trafen, welches heute Brasilien genannt wird. Auf den ersten Eindruck mochte man meinen Porto Seguro mit seinen farbenfrohen Häusern im Kolonialstil und einer Straße namens „Passarela do Alcool“ sei eine Touristenhochburg, wo es nachts wie in Mallorca zugehen würde – nur eben rhythmischer – brasilianischerer. Um es vorwegzunehmen: So war es nicht. Porto Seguro ist ein ruhiger, entspannter Ort mit ein bisschen Nightlife in dieser Alkohol-Passage. Ein sicherer Hafen.
Porto Seguro

Es war nun bereits schon Mittag – und eigentlich Zeit für Alkohol. Nein, wir leisteten uns lediglich extrem gutes Eis in einem kleinen Café am Wegesrand. Das Wetter war ein wenig durchwachsen, sodass wir uns nach dem Supermarktbesuch auf unsere eigenen vier Wände, die selbst gemachten Spagetti, das Schnitzel und den ersten Wein seit Wochen freuten. Endlich hatten wir auch Spielkarten gekauft, und beim Rommé zog ich Sylvie sogleich böse ab. Der „Alcohol Walkway“ musste also bis morgen warten.
Wir schliefen sehr lange und merkten somit erst spät, dass draußen fantastisches Wetter war. Sofort packten wir die Badesachen und dackelten zum Fähranleger. Porto Seguro hat zwar auch einige fußläufige Strände, doch „die Hammerbuchten“ sollen auf der anderen Seite der Lagune liegen – erklärte und Rino.
Auf der Autofähre tranken die meisten Passagiere in knalliger Sonne bereits ihre ersten Literflaschen „Cerveca Brahma“ des Tages. Nicht wenige krakelten lauthals irgendwelche Lieder. Ich glaube in Deutschland wäre mir das ziemlich auf den Keks gegangen, doch in Brasilien genoss ich – wie zumeist auf dieser Reise – die ausgelassene Ferienstimmung. Die Bucht mit ihren Fischerbooten und Seglern war außerdem atemberaubend schön.
Rios Buranhem 3

Auf der anderen Seite des Rios Buranhem waren wir uns nicht sicher, ob wir hier schon richtig waren. Da es jedoch dort, wo das Boot angelegt hatte, nicht besonders gemütlich aussah, beschloss ich, in den Bus nach Arraial d‘ Ajuda zu steigen. Sylvie zeigte mir zwar einen Vogel und als wir ankamen, gab ich ihr zunächst Recht, da wir auch dort nicht sofort sahen, wo es zum angepriesenen Strand ging. Dennoch klarte die Stimmung bald auf, als wir auf sandigen Straßen den gemütlichen Ortskern mit der niedlichen Kirche und endlich auch die beeindruckende, langgezogene Badebucht entdeckten.
Arraial d‘ Ajuda

Von einer Hügelspitze – das Arial des eigentlichen Ortes lag auf einem begrünten Berg – sah das türkisfunkelnde Meer mit den vorgelagerten Riffen absolut fantastisch aus. Nach einem steilen Weg bergab bemerkten wir zum wiederholten Male einen ungewöhnlichen Spleen der Brasilianer. Es gab direkt an der Straße zwei große Bars mit unzähligen Stühlen, Liegen und riesigen Boxen aus denen extrem laute Musik erschallte. Und genau dort lagen, bzw. saßen sie – alle! Rechts und links erstreckten sich einsame, kilometerlange Strände mit Schatten spendenden tropischen Bäumen im Hintergrund, doch die Einheimischen hockten alle auf einem Haufen lachten, tanzen und tranken Bier oder Caipirinhas – dabei meist hüfttief im Wasser stehend.
Arraial d‘ Ajuda 3

Nur dreißig Meter weiter sah man dann keine Menschen mehr und der Strand war gut und gerne sieben Kilometer lang. Wir jedenfalls bevorzugten es, abseits der Menschenmassen zu liegen. Allerdings verschwanden auch wir nicht außer Sichtweite, denn vielleicht gab es hier ja irgendein Gefahrenproblem, weshalb die alle zusammen blieben. Somit wurden wir weder überfallen, vergewaltigt, aber auch nicht gestört. Ich fand ein schattiges Plätzchen und das Wasser war, vom Naturriff umgeben, eine übergroße Schnorchel-Badewanne.
Hätten wir nicht vorher so eine tolle Zeit bei Mauro in Itaunas verbracht – hier wären wir definitiv wieder versackt, denn überall im Ort gab es günstige Hotels und Bungalows, Open-Air-Restaurants, Bars und sogar einen Italiener, der einen übergroßen Weltmeister-Pokal aus Pappmasche stolz vor seiner Pizzeria präsentierte.
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Leider mussten wir wegen fehlender Zeit weiter in Richtung Norden düsen. Auf dem Weg zu unserem Apartment kamen wir in Porto Seguro diesmal nicht an der berüchtigten „Passarela do Àlcool“ – ohne ein, zwei Kaltgetränke – vorbei. Ein wunderschöner Tag endete tief in der Nacht auf unserer Terrasse.
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Surfer- und Hippiestadt Itacaré
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Am Bushahnhof sahen wir am nächsten Tag, dass auch Porto Seguro seine Favelas hat. Hier waren es Zelte mit Plastikplanen in denen die arme Bevölkerung hauste. Vor dem umzäunten Areal standen riesige Schilder, die Luxusimmobilien anpriesen. Wie krass!
Nach einer anstrengenden Busfahrt landeten wir um 16 Uhr in Ilhéus. Nach kurzem Grübeln beschlossen wir, noch weiter nach Itacaré zu fahren. Zum einen sollte dieser Ort nur 18.000 Einwohner – statt 220.000 in Ilhéus – haben, zum anderen schwärmten schon einige unserer bisherigen Wegbegleiter von der (!) Surfer- und Hippiestadt Brasiliens.
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In einem vollbesetzen Minibus erreichten wir kurz vor 19 Uhr den angepriesenen Ort und ließen uns, da wir wie immer völlig planlos und ohne Reiseführer unterwegs waren, von einer Schleppertruppe in eine Unterkunft führen. Das Hostel „International“ war furchtbar räudig und die Inhaber besaßen sogar die Frechheit, für ihre verkeimten, dunklen Zimmer, 80 Real pro Person zu verlangen. Zum Vergleich: bei Mauro in Itaunas und Rino in Porto Seguro hatten wir jeweils 40 für die Nacht bezahlt, mit Swimmingpool, Hängematten-Terrasse und kostenlosem Caipirinha-Service.
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Wir überließen das Hostel den zahlreichen europäischen Backpackern und fanden ein ähnlich schlechtes Hotel für die Hälfte des Preises. Das Zimmer war eigentlich gar nicht so übel, aber bereits jetzt brüllten etliche Traveller-Kids ununterbrochen auf dem Hof herum. Der ganze Ort war komplett auf diesen Backpacker-Scheiß ausgelegt, von Hippies und coolen Durchgeknallten jedoch keine Spur. Unzählige Bars, Lokale und Reiseagenturen (für die ganz großen Abenteurer, wie Surfen, Reiten, Kanufahren, Mountainbiking und Rafting) warben um Kundschaft. Vielleicht waren wir auch einfach nur zu kaputt und konnten die laut kreischenden Mädels (die alles „amazing“ und „awesome“ fanden), momentan einfach nur nicht ertragen. Wir aßen eine äußerst lasche Moqueca (Brasiliens sonst so vorzüglichen Fischeintopf), tranken lauwarmes Bier mit Cooler und gingen recht früh ins Bett. Dies hätten wir uns durchaus schenken können, da es bis 4 Uhr nachts unerträglich laut auf unserem Hof und der gegenüberliegenden Straße war. Und bereits früh um 7 Uhr trampelten die ersten Spinner auf ihrem Weg zum Adventuretrip durch die Gänge.
Itacare

Zwar konnten wir nochmals ein wenig pennen; trotzdem waren wir gerädert und vor allem genervt von dem Ort mit seinen äußerst gut gelaunten, lässigen Backpacker-Touristen. Ich versuchte Sylvie zu überreden, einen dreitägigen Surfkurs zu buchen und das bescheuerte Treiben in den Wellen des Meeres einfach zu ignorieren. Als wir im Foyer unsers Hostels jedoch einen äußerst bedrückten Amerikaner kennenlernten, überzeuge auch mich seine Story, dass wir stattdessen schleunigst abhauen sollten.
Dem armen Jungen hatten sie nämlich gestern (in unserem Hotel!), sein komplettes Gepäck aus dem Zimmer geklaut als er sich gerade beim Surfen an einem „lovely beach“ befand. Die Diebe waren scheinbar von außen durchs Fenster in seinen Raum geklettert und hatten sich nicht mal die Mühe gemacht, nach Wertsachen zu suchen. Sie hatten einfach alles komplett mitgenommen: seinen großen und den kleinen Rucksack, natürlich inklusive des Geldes, der Kamera und vor allem seines Passes. Er besaß nun buchstäblich nur noch das, was er am Leibe trug. Bei uns hätte dies wahrscheinlich die Heimreise bedeutet. Der Engel mit dem Engelsgesicht (Sylvie) schenkte ihm daraufhin 100 R$ für die Fahrt nach Salvador.
Danach verrammelten wir unser Zimmer, schlossen die Fenster und gingen für ein paar Stunden an den überfüllten Stadtstrand „Praia da Concha“. So richtig genießen konnten wir die ausgelassene Beachstimmung nun aber nicht mehr. Die Kulisse mit den überdrehten Menschen nervte zusehends. Einen schönen Augenblick gab es dennoch. Als wir auf die Mole gingen, sahen wir eine riesige Meeresschildkröte durchs Wasser gleiten. Die hatte sich wohl leider im Ort geirrt! Der Tag dümpelte vor sich hin und in der Nacht freuten wir uns bereits auf neue, entspanntere Erlebnisse auf unserer Reise durch den Norden Brasiliens.
Itacare 2
Ungewöhnlich früh standen wir auf. Sylvie kaufte Frühstück aus dem Minimarkt während ich die Bustickets holte damit wir keine weitere Zeit verschwenden mussten. Während der Fahrt atmeten wir mehrmals tief durch und genossen die beeindruckend schöne Landschaft. Auf Schotter- und Sandpisten fuhren wir durch tropische Regenwälder, entlang an malerischen Flüssen, sahen spektakuläre Wasserfälle und äußerst idyllisch wirkende Käffer. Ein bisschen ärgerten wir uns nun sogar, dass wir noch immer keinen Reiseführer besaßen, denn hier hätte sich sicherlich ein kurzer Zwischenstopp gelohnt.
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Zum Weiterlesen: 90 Minuten Update

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