Opa Sport Mein Opa erzählte neulich: Beileibe nicht nur Rekorde und Medaillen der Olympiasieger machten die Faszination Sport in der DDR aus. Der DTSB hatte bis zur Wende etwa 3,7 Millionen Mitglieder, die sich sportlich betätigten. Das waren immerhin über 20 % der gesamten DDR-Bevölkerung.
Schon im Kindergarten wurde viel wert auf Bewegung gelegt und fast jeder zweite Jugendliche war danach in Schulsportgemeinschaften organisiert. Ich kann versichern, dass die meisten dort freiwillig aktiv waren und sich gerne mit anderen Schulen in Pionierpokalen und Kinder- und Jugendspartakiaden maßen. Für die besten bestand natürlich die Aussicht, in die angesehene Sportelite unseres Landes aufzusteigen.
Aber auch für jene, die das nicht schafften – zugegeben die meisten – gehörte der Sport danach weiterhin zum Leben. Neben anderen Zeitungen unseres Landes unterstützte das Deutsche Sportecho den Fernwettkampf „Stärkster Lehrling“ und „Sportlichstes Mädchen“ in den Betrieben. Wir waren immer aufs Neue erstaunt, zu welchen Höchstleistungen die Jugendlichen fähig waren. 60 Kniebeugen mit 25 Kilogramm Belastung in 60 Sekunden, 100 Beugestütze in drei Minuten oder 35 Klimmzüge musste man schon bringen, um im Spitzenfeld dabei zu sein. Beim Schlussdreisprung kamen die Besten auf Weiten von bis zu 9,50 Metern. Bei den Mädchen schafften im Seilspringen nicht wenige 150 Seildurchschläge, einige sogar über 200 innerhalb von einer Minute.
Familienwettkampf Für Dich

Auch in den FDGB-Ferienheimen gab es unzählige Sportanlagen. Wer in seinem Urlaub keine Lust auf das heimeigene Schwimmbad, die Sauna, den Volleyballplatz hinterm Haus, oder die Kegelbahn hatte, konnte sich immer noch auf den Tanzabenden sportlich verausgaben. Etliche Leute machten sogar ihr Sportabzeichen während dieser Tage, um ihren Kindern, die das längst in der Schule erlangt hatten, in Nichts nachzustehen. Die eigentliche Funktion des Sports, die Gesundheit zu fördern, war also auch in der DDR stark ausgeprägt. So gab es alljährlich die „Meile“ am Neujahrsmorgen, bei denen einige allerdings nur teilnahmen, um ihren Kater loszuwerden. Ich will hier keine Namen nennen.
Opa erzählt

Das Fernsehen! Die beliebte Reihe: „Mach mit – mach’s nach – mach’s besser“ unter der Anleitung von „Adi“ erfreute sich einer sensationellen Beliebtheit und auch „Mach mit – bleib fit!“ schauten die Menschen gern.
Während der Wochen des größten Amateur-Radrennens der Welt, gab es immer eine „kleine Friedensfahrt“, bei der schon die Jüngsten um die Siegerschleife rangen.
Auch die Frauenzeitschrift „Für Dich“ hatte irgendwann einen „Familien-Wettkampf“ ins Leben gerufen. Eine Übung war dabei beispielsweise, dass man sich auf eine Parkbank stellen und den Rumpf so weit wie möglich nach vorn beugen musste. Wer mit den Fingerspitzen am weitesten unter die Sitzleisten der Bank kam, hatte familienintern gewonnen.
Ebenso gab es das „TTT – Tischtennis-Turnier der Tausenden!“ Als das Ereignis organisiert wurde, waren noch alle pessimistisch, doch schon im ersten Winter traten über 3000 Berliner – also Tausende – in der Sporthalle in der Karl-Marx-Allee gegeneinander an. Dem Beispiel folgten viele andere Städte und eigentlich hätte man den Namen schon bald in „TTZ – Tischtennis-Turnier der Zehntausenden“ umbenennen müssen.
Selbst das mittlerweile sehr beliebte „Wandern“ hatte in der DDR eine ernstzunehmende Anhängerschaft. Viele Menschen liefen schon damals fröhlich auf dem Rennsteig des Thüringer Waldes. Manche wanderten in ihrem Urlaub sogar von Eisenach bis nach Katzhütte. Auch Rad- und Kanutouren und die Wanderungen im Umland von Berlin, welche die Zeitung „Neues Deutschland“ organisierte, waren beliebt. Einige Veranstaltungen gibt es noch heute. Der Sport hatte eben viele Gesichter in der DDR.
Schach

Oftmals wurden über unsere Köpfe hinweg vollkommen hirnrissige Entscheidungen getroffen, da sich die Parteiführung in jede noch so bedeutungslos wirkende Angelegenheit einzumischen pflegte. Kleinste Fehler wurden dann sofort zur Staatsaffäre hochstilisiert. So hatten wir beispielsweise das Pferdesportbuch „Sieger in Sattel und Sulky“ herausgebracht. Irgendein Verrückter hatte sich in einem Beschwerdebrief an das ZK der SED bitterlich darüber beschwert, dass wir dort „Werbung für einen Kapitalisten“ machen würden.
Wir mussten ein Rundschreiben an alle Buchhandlungen der Republik verfassen, in dem wir mitteilten, dass das Buch zurückgezogen wurde und an den Verlag zu schicken sei. In der Neustädtischen Straße ist jedoch kein einziges Exemplar angekommen, denn blitzschnell hatte sich herumgesprochen, dass in dem Werk etwas ganz „Gefährliches“ stehen musste. Es wurde zur „Bückware“ und heimlich unter dem Ladentisch weiterverkauft. Ich bin mir bis heute sicher: 99 % der Leser haben die verwerfliche Stelle nie gefunden, denn im Buch stand lediglich der Satz: „Dieses berühmte Pferd hatte Opel einst seiner Tochter geschenkt.“ Der böse Imperialist, Herr Opel, sorgte also auch in der DDR für Bestseller.
Wenn jedoch ein Buch den Literaturpreis des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) bekommen hatte, war es von heute auf morgen erschossen. Die Bauchbinde „Literaturpreis des FDGB“ vermittelte den Lesern scheinbar augenblicklich: „Das kann man ja sicherlich nicht lesen.“ Obwohl da auch gute Werke dabei waren, hatten die Menschen an vermeintlich „linientreuem Gesülze“ kein Interesse.
Tischtennis

Der Sportverlag war über all die Jahre sicher ein Erfolgsbetrieb. In vielen Jahren haben wir große Gewinne erwirtschaftet und oftmals auch zwei Millionen Exporterlöse – davon eine Million in harten Devisen. Unsere Sportbücher (und Lizenzen) waren auch in der westlichen Welt hoch angesehen, schließlich wurde jedes vierte Buch außerhalb der DDR verkauft. Und wir hätten noch erfolgreicher sein können!
Aus Geldmangel durften oftmals keine Journalisten zu bestimmten Ereignissen geschickt werden. Somit konnten wir natürlich auch nicht vernünftig darüber berichten. Unzählige Sportveranstaltungen wurden von meinen Kollegen und mir „live“ bei Fernseh-Übertragungen geschrieben. Wir taten dabei einfach so, als ob jemand von uns vor Ort wäre und hatten sogar einen „Sepp Stadlmeyer“ erfunden, der dann zum Beispiel von der Winterstudenten-Olympiade berichtete: „Als ich heute Morgen aus dem Fenster meines Hotels blickte, schneite es in dicken Flocken.“ Wir wollten dem Leser das Gefühl vermitteln, dass sich der Reporter in einer winterlichen Berglandschaft befände, während er eigentlich vor der Glotze hockte.
Dennoch war auch das sehr zeitaufwendig, sodass ich mehrere Male bei der Zentrag vorsprach: „Gebt uns doch bitte ein paar D-Mark, damit wir uns einen Videorekorder kaufen können!“ So hätten wir die Veranstaltungen wenigstens aufzeichnen können. Doch das Geld wurde nicht genehmigt.
Auch Mittel für die handlichen, leichten Reiseschreibmaschinen, die es längst in der Bundesrepublik gab, wurden nie bewilligt. Damals durften wir nur mit 20 Kilogramm Gepäck ins Ausland fahren und unsere Schreibmaschinen waren so schwer, dass wir auf manche Dinge verzichten mussten. So kam es, dass etlichen DDR-Journalisten ausgerechnet im Westen ihr Arbeitsmittel kaputt ging. Dann brauchten sie natürlich dringend eine neue Maschine und mussten sie vor Ort kaufen. Das wurde genehmigt. So simpel war das. Aber seien wir mal ehrlich: es wäre auch einfacher gegangen!

Opa Schlitten

1961 fuhr ich erstmals zur Frankfurter Buchmesse. Am Hauptbahnhof gab es eine Vermittlung mit Zimmernachweis und so landete ich, ziemlich weit draußen, bei einer herzensguten Bäckerfamilie. Bei schönem Wetter lief ich manchmal zur Messe, um die Straßenbahn-Tickets zu sparen. Über die Jahre wurden wir Freunde, denn bis 1989 habe ich dort immer übernachtet. Ich sah ihren Betrieb wachsen, die Kinder groß werden und die Gastgeber altern. Vom ersten Tag an ließen sie mich erst aus dem Haus, wenn die große Thermoskanne mit Kaffee gefüllt und der riesige belegte Brötchenberg in meiner Tasche verstaut war. Die Vorräte reichten für mich und unsere Standbesatzung den ganzen Tag.
Die Bäckerei war ein Privatunternehmen und ich staunte fast jedes Jahr aufs Neue, dass sie wieder nicht im Urlaub gewesen waren. Sie konnten es sich einfach nicht leisten, den Betrieb für drei Wochen zu schließen, sonst hätten sich unter Umständen die Lebensmittelgeschäfte einen anderen Zulieferer gesucht. Jeden Tag um 4 Uhr morgens startete die Teigknetmaschine in den Räumen unter mir und sie hatten oft Angst, dass mich das stören könnte. Doch ich schlief immer tief und fest und fragte mich, ob ich mit diesem Leben tauschen wolle.
Auch dass auf der Toilette altes abgestandenes Wasser vom Wäschewaschen aufbewahrt wurde, das sie zum Spülen benutzten, war für mich ungewohnt. „Wassersparen“ kannten wir in der DDR nicht. Sie erzählten mir zudem immer, wo man in Frankfurt günstig Fleisch, Käse oder Wurst kaufen könne. Ich kannte nur unsere einheitlichen Verkaufspreise und begriff lange nicht, dass es im Westen gehörige Unterschiede gibt.
Obwohl ich immer zwei Stangen filterlose Caro mitgenommen hatte, musste ich mir eines Tages auch einmal Zigaretten in Frankfurt kaufen, da ich meine Schachtel bei den Bäckern vergessen hatte. Völlig ahnungslos ging ich in den kleinen Kiosk und als mich der freundliche Mann fragte, was ich wolle, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen: „Eine Schachtel Stuyvesant.“ Die Dinger waren weder filterlos, noch schmeckten sie mir, doch innerhalb weniger Tage in einer Stadt mit riesigen Plakatwerbungen war ich auf die Reklame hereingefallen.
Volleyball

Natürlich habe ich meiner Familie und Freunden immer Geschenke aus Frankfurt oder von Olympia mitgebracht. Auf einer meiner letzten Reisen kaufte ich beispielsweise in der Innenstadt der Mainmetropole vom ersparten Tagesgeld einen weißen Doppelkassetten-Rekorder für Jenny, Juttas Tochter, zur Jugendweihe. Der kostete immerhin 99,- DM und ich fragte die Kassiererin besorgt: „Können wir den nicht wenigstens mal kurz ausprobieren?“ Sie schaute mich verwundert an und antwortete: „Wenn der nicht funktioniert, kommen Sie einfach wieder und wir tauschen ihn um!“ Die Verkäuferin ahnte ja nicht, dass ich erst zur Buchmesse im kommenden Jahr reklamieren könnte.

Im Prinzip schon. In einem Jahr hielt der Zug jedoch, aus Frankfurt kommend, für 40 Minuten am Bahnhof Zoo in Westberlin und da sich ein Kollege ein bisschen auskannte, stiegen wir einfach aus und fuhren mit der S-Bahn zur Friedrichstraße. Der dortige Zöllner fragte uns streng: „Wo kommen sie denn her?“ Wir hatten natürlich reichlich Gepäck und antworteten arglos: „Von der Frankfurter Buchmesse.“ Er plusterte sich jetzt regelrecht auf: „Aber der Zug ist doch noch gar nicht da!“ Wir erklärten ihm, dass wir im Bahnhof Zoologischer Garten nicht 40 Minuten warten wollten, doch er belehrte uns nur: „Für einen Aufenthalt in Westberlin hatten sie keine Genehmigung!“
Kopfschüttelnd wurden wir doppelt und dreifach gefilzt und mussten uns anhören, dass es auch eine Mitteilung an die zuständigen Organe geben würde. Wir waren tagelang unbehelligt durch Frankfurt am Main gelaufen und durften in Westberlin nicht einmal den Bahnsteig wechseln, um früher in unser geliebtes Heimatland zu gelangen? Diese Dummheit ärgerte mich. Leider gab es Tausende solcher Leute in der DDR und die wurden zudem auch noch richtig gut bezahlt!

Kampfreserve
Bei der ersten Armeespartakiade in Leipzig war ich als Leiter des Pressezentrums bestellt. Mit meinem Ausweis hatte ich überall ungehinderten Zutritt und einige Kollegen, die oftmals vor verschlossenen Türen standen, beschwerten sich: „Du hast es leicht, du kommst ja überall hinein!“ Daher wollte ich ihnen beweisen, dass ich mir auch ohne „wichtige Papiere“ Zugang verschaffen könne.
Vor den Eingängen des Stadions standen überall zwei NVA-Soldaten (Nationale Volksarmee) in braun-rot-gelben Trainingsanzügen. Ich packte meinen Ausweis weg und sagte den drei Journalisten, dass sie mal zuschauen sollen. Forschen Schrittes lief ich zu den Bewachern und rief: „Passt mal genau auf, dass in dieses Tor in den nächsten zwei Stunden niemand mehr hineingelassen wird!“ Die beiden nickten, brüllten „Jawohl“ und ließen mich einfach passieren. In ihren Augen musste ich ein General gewesen sein, denn sonst hätte ich ihnen ja keinen Auftrag erteilen können.

Sportverlag DHfK
Fußball war nie meine Sportart gewesen. Nicht, dass er mich nicht interessierte. Es gab einfach bessere und kompetentere Journalisten, die darüber leidenschaftlicher berichten konnten. Im März 1984 war ich dennoch zusammen mit Klaus Schlegel, dem Chefredakteur der FuWo (Fußballwoche), nach Hannover zum Länderspiel gefahren. Es spielte die BRD in einem Testmatch gegen die Sowjetunion und wir sahen ein ordentliches 2-1 der Westdeutschen mit Toren von Litowschenkow, Brehme und Völler. Nach Spielende sagte mir mein Kollege, dass er ganz gerne noch ein Interview mit dem sowjetischen Trainer machen wolle. Doch der war längst in den Räumen einer VIP-Party abgetaucht. Vor dem Eingang standen etliche muskulöse Bewacher und unzählige junge Frauen drängelten sich davor, um ein Autogramm ihrer Helden zu ergattern. Ich lief zum vermeintlichen Boss der Aufpasser, tippte ihn an und rief: „Ihr müsst die Mädels hier mal wegschicken. Wenn man da drin sitzt, sieht das so blöde aus.“ Er schaute mich mit Augen an, die zu sagen schienen: „Okay, der muss hier etwas zu melden haben“, und winkte Klaus und mich durch. Dann kümmerte er sich um den Auftrag, den ich ihm erteilt hatte. Die Autogramm-Jägerinnen wurden verjagt.
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Zum Weiterlesen: Alles ganz simpel

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